Die Polizei als eigenständiger politischer Akteur

Wasserwerfereinsatz der Polizei gegen Protestcamps im Vorfeld des G20.

Im Diskurs um die unglaubliche Polizeigewalt und Repression beim G20 Gipfel wird immer wieder ein Rücktritt von Dudde, Grote und Scholz gefordert. Sicher sind diese Herren mitverantwortlich für die Eskalation, die von der Polizei ausging, das Problem jedoch nur bei diesen Personen zu suchen, blendet die viel größeren Probleme, die es mit der Polizei als politischen Akteur gibt, aus.

Unabhängig von der grundsätzlichen Kritik, die wir an dem bürgerlichen Rechtsstaat im Allgemeinen und der Institution Polizei im Besonderen haben, ist auch das Handeln der Polizei innerhalb einer rechtsstaatlichen Logik extrem zu kristieren. So tritt die Polizei oft nicht als neutraler Akteur zur Durchsetzung von Gesetzen auf, sondern als eigenständig handelnde politische Instanz. Das wird mehr als deutlich, wenn sich die Polizei offen über Gerichtsentscheide hinwegsetzt und die Gerichte auffordert ihre Entscheidungen nach Forderungen der Polizei anzupassen, wie es im Zusammenhang mit dem Protestcamp Entenwerder geschehen ist. Dies ist ein offener Bruch der Gewaltenteilung und somit das Anzeichen eines autoritären Polizeistaats. (weiterführende Artikel dazu: Bilanz der G20-Proteste: Feindbild Demonstrant)
Das rechtswidrige Handeln der Polizei beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Straße, sondern setzt sich auch gegen Gefangene und Rechtsanwält*innen fort. So wurden Anwält*innen in der GeSa (Gefangenensammelstelle) bei der Betreuung von Mandant*innen immer wieder behindert.

Auch als medialer Akteur schafft die Polizei längst ihre eigenen Realitäten. War die Polizei früher auf die Rezeption ihrer Pressemitteilungen und der Einladung zu Pressekonferenzen angewiesen, hat sie mit den sozialen Medien eigene Kanäle, die die Menschen schnell und direkt erreichen. Die Wichtigkeit dieser Kanäle zeigt sich in den extra hierfür abgestellten social-media-teams, deren Aufgabe es ist, die öffentliche Meinung zu lenken und die Deutungshoheit über das Geschehen während Polizeieinsätzen zu behalten.
Die polizeilichen Kanäle genießen dabei bei den meisten Menschen und vielen Medien eine hohe Glaubwürdigkeit. Neben Tatsachen und Fakten zu Einsätzen werden jedoch auch ständig Vermutungen (oder bewusste Lügen), Kommentare und Meinungen verbreitet. Auf diese Weise können grundrechtswidrige Einsätze kurzfristig legitimiert werden und die Opfer der Repression delegitimiert. Die spätere Richtigstellung findet dann regelmäßig viel weniger Beachtung als die ursprüngliche (Falsch)meldung. (Bericht von Vice über Medienmanipulation der Polizei während G20). Weitere Beispiele für diese Medienstrategie, abseits von G20, sind die Polizeifalschmeldungen aus Berlin über Säurekonfetti oder angeblich unter Strom gesetzte Türgriffe.
Noch problematischer erscheint dieses Vorgehen wenn miteinbezogen wird, wie die Polizei immer wieder auch gewaltsam gegen Presse vorgeht und Presseausweise regelmäßig nicht anerkennt und somit eine kritische Berichterstattung verunmöglicht.
Auch wenn wir anerkennen das Journalist*innen unter hohem Konkurrenzdruck quasi zu just-in-time Berichterstattung genötig werden und die notwendige Sorgfalt zwangsläufig darunter leidet, täten sie gut daran, die Polizei nicht mehr als einzige Quelle zu akzeptieren, sondern sich konsequent an das Zwei-Quellen-Prinzip zu halten.

Dass das Problem mit der Polizei nicht nur von Einzelnen abhängt, zeigt sich auch beim Ausbau von Sonderrechten der Polizei, wie zum Beispiel des §114, welche extrem problematisch sind, machen sie doch eine rechtliche Kontrolle der Polizei immer schwieriger. Bei Anzeigen wegen Polizeigewalt müssen die Betroffenen fast immer mit Gegenanzeigen wegen Widerstand rechnen, im Zusammenspiel mit fehlender Kennzeichnungspflicht (die in NRW erst im Dezember 2016 eingeführt wurde und nun wieder abgeschafft werden soll) und Korpsgeist ist es sogut wie unmöglich Polizisten für ihre Straftaten zu belangen und sogar gefährlich solche Straftaten überhaupt anzuzeigen. Rechtshilfeorganisationen raten deshalb oft von Anzeigen gegen Polizisten ab.
Doch selbst wenn ein Polizeieinsatz nachträglich als rechtswidrig festgestellt wird, haben die Verantwortlichen kaum etwas zu befürchten, wie die Biografie von Hartmut Dudde beispielhaft sehr eindrücklich zeigt.

Unter dem Eindruck von Terroranschlägen wird die Polizei immer weiter militarisiert. Das selbst eine noch so gut ausgerüstete Polizei Terror nicht stoppen kann, wird dabei ausgeblendet. Während des G20-Gipfels wurde jedoch deutlich, dass unter dem Vorwand von Terrorabwehr angeschaffte Ausrüstung im Zweifel auch gegen unbewaffnete Zivilisten eingesetzt wird. So wurde im Schanzenviertel neben schwerbewaffneten Spezialeinheiten auch der Panzerwagen “Survivor” und mit Maschinenpistolen ausgerüstete Polizist*innen eingesetzt. Das es bei diesen Einsätzen nicht zu Toten kam, ist wohl nur dem Glück und dem besonnenen Handeln der Betroffenen zu verdanken, wie im Statement der Riotmedics zum Einsatz von Spezialkräften deutlich wird. Darüber hinaus werden nicht nur die Ausrüstung und die Einsätze militarisiert, auch die Darstellung der Polizei als Helden in einem “bürgerkriegsähnlichem Zustand” militarisiert die Wahrnehmung der Polizei.

Auch politische Kritik am Vorgehen der Polizei scheint sich als sehr schwierig zu gestalten. Während linksradikale, militante Gruppen nach dem G20-Gipfel selbstkritisch zugeben, dass nicht alles was passiert ist optimal gelaufen ist, weisen die regierenden und polizeilichen Stellen jegliche Kritik von sich.
So behauptet Olaf Scholz ernsthaft es habe keine Polizeigewalt gegeben, obwohl diese umfangreich dokumentiert ist.
Auch die anderen Parteien kritisieren eher nicht die übermäßige Polizeigewalt, sondern fordern im Gegenteil sogar noch verschärftes Vorgehen gegen sogenannte Linksextremisten.
Wohin dieses Forderungen führen, kann im Moment gut in den sozialen Netzwerken beobachtet werden, wo der rechte Mob zum Teil offen nach Lynchjustiz kreischt, während Politiker*innen aus verschiedenen politischen Lagern lebenslange Demoverbote oder massenhaft Räumungen sozialer Zentren fordern.

Die Struktur der derzeitigen Debatte über Polizeigewalt macht somit auch deutlich, dass viele bürgerlichen Akteure im Zweifel auch bereit sind, rechtsstaatliche Kriterien in einem absoluten Freund/Feind-Denken über Bord zu werfen. So wird jede Polizeigewalt legitim, solang sie “die Richtigen” trifft und Fragen nach Verhältnismäßigkeit oder rechtlicher Grundlage werden im besten Fall nebenrangig. Das eigene Gerechtigkeitsverständnis eines gewaltenteiligen Rechtsstaats wird spätestens hier ad absurdum geführt.
Aus einer linksradikalen Perspektive kann am Beispiel der Polizeigewalt bei G20 also Kritik an der grundsätzlichen gewalthaften Struktur des bürgerlichen Staates geübt werden, die sich unter Abstreifen der sonstigen rechtsstaatlichen Fesseln offen gezeigt hat.
Doch auch dieses Phänomen ist keine Hamburger Besonderheit. So ließ sich ähnliches beim Polizeieinsatz in der Silvesternacht in Köln beobachten. Als die Grünen-Chefin Simone Peter die Rechtmäßigkeit des massiven racial profiling richtigerweise anzweifelte, folgte extreme Kritik, sowohl von außerhalb wie auch innerhalb der Partei. Peter ruderte schließlich zurück und relativierte ihre Aussage.
Kritiker*innen von polizeilichen Aktionen und deren Verhältnismäßigkeit laufen immer Gefahr als Sympathisant*innen von angeblichen Straftäter*innen diffamiert zu werden und bieten Angriffsfläche für law-and-order Politiker*innen. Da innere Sicherheit immer wieder, und wohl auch zur Bundestagswahl, ein zentrales Wahlkampfthema darstellt, will keine Partei diese Angriffsfläche bieten.
Es handelt sich bei der Polizei also um einen hoch militarisierten politischen Akteur, der das uneingeschränkte Gewaltmonopol besitzt und im Zweifel bereit ist dieses auch gegen juristische Einschränkung und Grundrechte wie Pressefreiheit oder Versammlungsfreiheit durchzusetzen. Gleichzeitig werden medial eigene Realitäten geschaffen, die es anderen bürgerlichen Akteuren extrem erschweren polizeiliches Vorgehen grundsätzlich zu kritisieren.
Doch auch die radikale Linke tut sich relativ schwer damit, gegen verschärfte Sicherheitsgesetze, einen fortschreitenden Aufbau des Polizeistaats und zunehmende komplette Überwachung zu protestieren. Zwar werden solche Entwicklungen abgelehnt, doch bei dem Protest gegen diese findet sich die radikale Linke schnell wieder in der Rolle der Verteidigerin einer bürgerlichen, kapitalistischen Demokratie, die sie in der Regel selbst ablehnt.
Es muss jedoch eingestanden werden, dass der Kampf gegen einen autoritären Staat essentiell für radikalere emanzipatorische Kämpfe ist, um nicht selbst direkt in Repression erstickt zu werden.
Um nicht in der oben beschriebenen Verteidiger*innenrolle stehen zu bleiben, müssen Ereignisse wie G20 als Chance begriffen werden aufzuzeigen, wie dünn und beliebig auch in scheinbar liberalen Demokratien wie der BRD die Grenze zwischen bürgerlichem Staat und autoritärem Polizeiregime ist.
Gleichzeitig muss der Kampf gegen den autoritären Staat jedoch bei jeder Gesetzesverschärfung geführt werden und nicht erst wenn die Repression in Form von Polizeigewalt und Gerichtsurteilen direkt spürbar wird.